Wallis auf Italienisch

Die Planung des September-Trips erwies sich als nicht so einfach. Wo soll es hingehen? Wer kommt mit? Wer kann von wann bis wann? Einzel- oder Hüttentouren? Wo ist das Wetter am besten?
Es gingen etliche E-Mails hin und her. Leute sind abgesprungen, andere hinzugekommen und letztendlich waren wir zu dritt (Claus, Dave und ich). Da wir vom Aostatal sehr angetan waren und wir uns dort ggf. auch mit Sandra, Werner, Birgit und Flo treffen wollten, war das Ziel dann schnell ausgemacht. Nun hieß es noch Urlaub einreichen, Unterkunft buchen und Koffer packen. Der Wetterbericht für die Woche sah vielversprechend aus.

Samstag Morgen hatte mich Claus abgeholt und wir trafen uns anschließend bei Dave. Die erste Idee mit einem Auto anzureisen verworfen wir schnell, weil Dave überlegte 301 und 601 mitzunehmen und sich mit zwei Autos auch die ein oder andere Shuttlemöglichkeit anbot. So machten wir uns gemütlich auf in Richtung Italien. Als es in der Schweiz über den Sankt Bernhard Pass ging und wir oben im Nebel bei null Grad mit null Aussicht standen, waren wir zunächst nicht so begeistert. Naja, der Wetterbericht für die nächsten Tage war deutlich freundlicher gemeldet. Abends am Hotel in Saint-Vincent angekommen hieß es dann nur noch ausladen und einen guten Italiener aufsuchen, der schließlich zu unserem Stammlokal wurde. Ich erinnere mich noch an Daves Worte: „So einen entspannten Anreisetag hatte ich bisher noch nie!“.

Verblockt bis verballert

Wie sich an diesem Tag herausstellte, waren Sandra und Werner leider krankheitsbedingt verhindert und Birgit und Flo sagten schließlich auch ab. So blieben wir letztendlich doch nur zu dritt.
Zum Einstieg entschlossen wir uns für eine bereits von Dave recherchierte Tour in der Nähe des Matterhorns. Das Wetter am Morgen war phänomenal. Blauer fast wolkenloser Himmel. Jedoch war es mit null Grad doch recht frisch, so dass auch warme Sachen eingepackt werden mussten.

Durch das zweite Auto sparten wir uns schon mal über 500 Hm Straße bis zum Toureinstieg. Von dort aus ging es dafür direkt schiebend oder tragend bergan. Die Baumgrenze ließen wir schnell hinter uns, das Matterhorn fast ständig im Blick. Da es mit zunehmender Stunde in der Sonne schnell warm wurde, legten wir die warmen Klamotten bald ab. Und so machten wir uns mit T-Shirt und kurzer Hose weiter in Richtung Gipfel. Den gesamten Aufstieg hatte man ein traumhaftes Panorama auf Matterhorn, Gletscher und das Aostatal. Am Gipfel des Dreitausenders angekommen legten wir eine sehr ausgiebige Rast ein. Denn die windgeschützte Lage war ideal zum langen Verweilen in der Sonne.

Anfangs noch mit sichtbarem Wegverlauf ging es schon bald querfeldein durchs Geröll

Irgendwann mussten wir uns allerdings doch aufraffen und machten uns abfahrbereit. Der Trail ging direkt technisch los.Im Blockwerk konnte man sich schnell warm fahren und einige schöne Fotos schießen. Nach kurzer Zeit war der Weg jedoch wenig bis fast nicht mehr zu erkennen. Wir mussten die Bikes schließlich einige Höhenmeter durch steiles Gelände runtertragen, bis sich wieder ein Weg auftat. Dieser wurde fortan immer flotter und wir surften in der untergehenden Sonne Richtung Tal zurück. Der Trail wird zwar nicht als Holy Trail in Erinnerung bleiben, es war dennoch ein gelungener Auftakt.

Gipfel-Niete

Am zweiten Tag wurde es zwar bewölkter als tags zuvor. Doch die starke Sonne machte kurze Klamotten möglich.
Die Tour verlief diesmal ein Tal östlicher und die Gipfelabfahrt versprach den Bildern der Google-Recherchen nach auch teilweise recht flowig zu sein.

Die ersten Höhenmeter konnten wir bis zu einer Hütte gemütlich kurbeln, was ein wenig Abwechslung zum Tragen brachte. Ab der Hütte wurde es dann stetig steiler und verblockter, so dass wir die Bikes wieder schultern mussten. Der Aufstieg war sehr lang und der Gipfel lies sich einfach nicht blicken.
Dafür begegneten wir drei älteren einheimischen Wanderern, die es völlig klasse fanden uns mit den Rädern anzutreffen und begeistert Gruppenfotos mit uns und den Bikes schossen.

Mit zunehmenden Metern wurde der Weg allerdings immer verblockter und mit dem geschulterten Bike nicht unbedingt einfacher. Zudem machten wir uns Gedanken um die Abfahrt, da es sich größtenteils um eine Stichtour handelte.
Als der Weg immer zäher wurde und ans Biken gar nicht mehr zu denken war, beschlossen wir umzukehren. Die vermeintlich flowige Abfahrt erwies sich als reinstes Schotterblockwerk.
Etwas enttäuscht ging es zurück. Überwiegend schiebend und immer wieder paar Meter fahrend. Nach einem kurzen Gegenanstieg stiegen wir dann in einen neuen Trail ein. Anfangs sehr steil, schottrig und anspruchsvoll, aber dennoch größtenteils fahrbar und unten raus immer flüssiger. So wurde es letztendlich trotz fehlenden Gipfels eine recht schöne Tour!

Tech Time

Am dritten Tag entschlossen wir weiter westlich einen Tipp von Sandra und Werner auszuprobieren. Die Idee war bis zu einem Joch aufzusteigen hinter dem sich ein imposantes, weites Gletschergebiet auftut. Je nach Beschaffenheit sollte noch ein kurzer Gipfel herhalten.

Startpunkt war ein futuristischer, türkisfarbener Stausee, so schön wie ich ihn selten sah. Nachdem wir den See passierten ging es ein langes flaches Tal bergan. Landschaftlich mit dem parallel abfließenden Bach traumhaft. Der Trail war anfangs über weite Strecken recht flach und stellenweise verblockt. Dann standen wir aber plötzlich vor einer Geländestufe und es ging in engen und zum Teil ausgesetzten Spitzkehren bergauf. Also genau das was wir suchten!
Leider hatten wir bei der Planung das lange, flache Tal unterschätzt und vor allem die Höhenmeter im Auge gehabt. Schließlich mussten wir uns entscheiden, ob wir noch weiter bis zum Gletscher oder umgekehrten sollten. Zeitlich wäre es vielleicht gegangen. Es war allerdings schon spät am Nachmittag und uns erwartete ein zum Teil anspruchsvoller Trail mit vielen Schlüsselstellen. Wir entschieden uns zähneknirschend für die zweite Option, da wir noch Fotos machen und an einigen Stellen probieren wollten. Also wieder eine Tour ohne Gipfel …

Der Trail machte die Enttäuschung jedoch schnell wett, denn es war der bisher Beste unserer Tourenwoche! Letztendlich konnten auch fast alle Stellen geknackt werden uns das ein oder andere gute Bild ist auch herumgekommen. Wenn auch nicht von den Kernstellen, die weniger fotogen waren.

Mixed Team

Da Dave mit dem 601 gerade im technischen Gelände nicht so viel Spaß hatte, sollte an diesem Tag das agilere 301 herhalten. Da die bevorstehende Tour keine Shuttlemöglichkeit bot, luden wir wieder alles in ein Auto und lagerten das 601 im anderen.
Als Dave nach der einstündigen Autofahrt die Räder ausräumte, schwante ihm bereits Böses, als er die fehlende Steckachse in der Gabel des 301 bemerkte. Wir durchsuchten das ganze Auto, doch sie war nicht zu finden. Sie steckte im Vorderrad des 601!
Das war natürlich der Supergau. Die Fahrt zum Hotel dauerte zu lange, als dass man sie eben schnell holen konnte.
Wenigstens hatte Dave in weiser Vorsehung Wanderschuhe samt -stöcke immer im Auto deponiert. So entschlossen Claus und ich außen herum hochzukurbeln und Dave auf direktem Weg die Abfahrt hochzuwandern. Oben am Traileinstieg trafen wir uns wieder. Das Wetter war mittlerweile nicht mehr so freundlich wie in den ersten Tagen. Es zogen von Tag zu Tag immer mehr Wolken auf. Da es schnell kühl wurde, machten wir uns gemeinsam wieder auf in Richtung Tal. Dave begleitete uns als wandernder Fotograf. Der Trail war zum Glück nicht zu schnell, so dass er halbwegs gut nachkam. Natürlich trotzdem sehr ärgerlich!

Eine unfreiwillige, doch idyllische Wanderung

Ruhetag in Aosta

Am fünften Tag gönnten wir uns mal einen Tag Pause, um Energie für die letzten Biketouren zu schaffen. Die Idee für eine umfangreichere Gipfeltour mit Hüttenübernachtung war noch nicht komplett verworfen, obgleich die Wettervorhersage des Wochenendes es immer unwahrscheinlicher machte.
So verbrachten wir den Pausentag in Aosta, besichtigten die schöne Altstadt und konnten so auch den kulturellen Teil abhaken. 😉

Restes des römischen Theaters als Aosta noch Augusta Praetoria hieß (gegründet 25 v. Chr.)

Pornorama!

Den vorangegangen Abend verbrachten wir mit Kartenstudium und Internetrecherche, um eine Alternative für die Hüttentour zu finden. Das Wetter war dazu halt doch zu schlecht gemeldet.
Jeder hatte neue Ideen und Vorschläge. Die über Nacht hereinziehende Regenfront sollte erst gegen Mittag durchgezogen sein. Da sich die Wolken in den Seitentälern südlich des Monte-Rosa-Massiv in den vergangenen Tagen bei zunehmenden Westwind eher stauten als weiter westlich, entschieden wir uns diesmal für einen Berg weiter westlich am Haupttal. Hier war das Wetter in den letzten Tagen meist etwas besser.
Zudem machte Dave viel Werbung für das Panorama, dass er sich dort versprach.

Am nächsten Morgen ließen wir es ganz gemütlich angehen, da es wie erwartet am Regnen war. Der Blick aufs Regenradar war jedoch vielversprechend und als wir mittags am Startpunkt waren, hatte der Niederschlag tatsächlich aufgehört. Dafür befanden wir uns schon bald in einer dichten, kalten Wolkensuppe. Erstes Zwischenziel war ein winziges, einsames Almdorf. Von dort an ging es dann tragend weiter. Sicht war leider immer noch Mangelware. Es sollte wohl doch keine besondere Tour werden.

Doch mit zunehmender Höhe wurde das fahle Licht heller und oberhalb von 2.500 m waren wir plötzlich auf Höhe der unteren Wolkendecke. Richtung Gran Paradiso konnten wir nun auch endlich die ersten Berge erblicken!
Wie es bloß nur am Gipfel sein mag? Angetrieben von dieser Frage marschierten wir weiter bis zum nächsten Kamm, wo sich die erste Aussicht ins Nachbartal bot. Es schien so, als ob wir unseren Glückstag erwischt hätten! Dave packte bereits die Kamera aus. Denn die Wolken standen tief im Tal, bei schönstem Sonnenschein.
Die letzten Meter bis zum Gipfel gingen dann wie von selbst, wobei wir immer wieder Fotos-Stopps einlegten. So viele Aufstiegsbilder hatten wir selten gemacht. Angekommen am Gipfel waren wir erst einmal sprachlos.

Granit – wild und steil

Wir standen neben einem riesigen Gletschermassiv und um uns herum waberte ein Wolkenmeer. So ein Naturspektakel hat man dann doch nicht täglich und wir genossen eine ausgiebige Gipfelrast.
Es war einfach unbeschreiblich schön.

Allerdings wurde es doch ziemlich kalt und die Sonne ging auch schon langsam unter. Wir beschlossen aufzubrechen.
Doch wenige Meter später mussten wir bereits wieder anhalten, da sich der nächste Fotospots auftat!

Claus als unser Bedenkenträger hatte jedoch die Zeit im Auge und meinte, wir müssten uns langsam wirklich auf die Socken machen. Na ok, aber noch ein Foto, ja? 😉

Traum-Trail!

Nach dem wirklich letzten Fotos ging es dann tatsächlich in die Abfahrt. Nach diesem Erlebnis war der bevorstehende Trail eigentlich nur doch zweitrangig. Er führte uns anfangs schnell und flott durch einen Wiesenhang. Bald waren wir wieder in den Wolken und konnten es gut stehen lassen.
Ab der Baumgrenze entpuppte sich der Trail schließlich zu einem immer verspielteren, flowigen Singletrail mit vielen schnellen Kehren, Wurzeln, Steinen und einer natürlichen Bobbahn. Alle waren im Flow und hatten ein fettes Grinsen im Gesicht. Immer weiter und schneller.
Jeder jagte den anderen bis ins Tal hinab. Es war mit Abstand die allerbeste Abfahrt der ganzen Woche!
In Kombination mit der unbeschreiblichen Aussicht wird dieser Tag noch lange in Erinnerung bleiben. Was Zeit- und Tourplanung anging hatten wir diesmal alles richtig gemacht und waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort 🙂

Nach der Wettervorhersage für die nächsten zwei Tage, entschlossen wir uns dann auch abzureisen. Gerne wären wir noch geblieben, doch mit unserer Königstour in Erinnerung konnten wir leichter verzichten und zufrieden die Heimreise antreten.

Eines der letzten Fotos bevor wir in die Wolken eintauchten